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Freshies und Dosenluft


ein Interview von Andrea Friebel



Der Physiker Robert Schwarz (34), hat einen Job mit Gänsehautgarantie - er arbeitet im ewigen Eis.

AVWM: Robert, oder besser Iceman, bald beginnt wieder Deine Arbeitssaison. Wo geht´s hin?
Robert Schwarz: In den Süden. Die Amundsen-Scott South Pole Station liegt, wie der Name schon sagt, direkt am Südpol. Weiter südlich geht’s nicht mehr.

Da stellt sich die Frage - wie kommt man da hin?
Zuerst mit einem Linienflug nach Neuseeland. Von dort aus geht’s dann mit einem amerikanischen Militärtransporter vom Typ Hercules weiter Richtung antarktische Küste nach McMurdo. Bis dort braucht man acht Stunden. Anschließend per Skiflugzeug in drei Stunden bis zum Südpol.

Freust Du Dich schon, wieder dort zu sein?
Ja, klar. Wenn man sich nicht mehr drauf freuen könnte, dann wäre es wirklich der falsche Job.

Wenn Du an den Südpol denkst, was vermisst Du hier im Moment am meisten?
Polarlichter auf jeden Fall, die sind da unten einmalig. Und natürlich die Kollegen. Immerhin sehe ich von den 58 Leuten, die letztes Jahr auch dort waren, 15 wieder.

Polarlicht

Wie ist das, wenn Du am Südpol aus dem Flugzeug steigst?
Es ist zunächst extrem kalt. Wenn man das erste Mal dort aussteigt, ist es kalt wie noch nie im Leben. Und dabei ist dort unten Frühsommer, wenn wir ankommen. Uns erwarten um die minus 50 Grad. Laut ist es auch, wegen der vielen Maschinen, die laufen.

Und wie sieht es dort aus?
Es ist einfach brettl-eben und weiß. Die Eisschicht unter der Station ist mehr als drei Kilometer dick. Die Sonne ist daher auch extrem gleißend, ähnlich wie im Hochgebirge. Man kann beim Ausstieg auch den „Dome“ sehen, das ist seit 1973 das Wahrzeichen der Station.

Südpolstation Übersicht

Wie groß ist denn die Station, auf der Du lebst?
Die Station hat insgesamt fünf Teile. Neben dem „Dome“ gibt es noch eine neue Station auf Stelzen, die wird gerade gebaut. Den eigentlichen Laborbereich nennen wir „dark sector“. Im antarktischen Sommer gibt es noch ein „summer camp“, weil wir einfach mehr Platz brauchen. Der „Dome“ und die neue Station sind durch unterirdische Tunnel verbunden, die so genannten „arches“.

Südpolstation Wohngebäude

Habt ihr denn auch mal Gäste?
Den Sommer über sind schon mal Touris oder Kurzzeitbesucher da. Auch viele Techniker und Handwerker sind nur zeitweise unten. Im Sommer kann’s schon mal vorkommen, dass sich 240 Personen in der Station aufhalten. Da wird es schon mal eng. Manchmal kommen auch „Abenteurer“ vorbei. Besondere Momente waren zum Beispiel die Besuche von Sir Edmund Hillary 1996 und von Jim Lovell, dem Kommandanten von Apollo 13.

Wie viele Personen sind denn schon da, wenn Du ankommst?
Momentan sind’s 72, die die Station den Winter über am Laufen halten. Die reparieren vieles und schaufeln frei.

Freischaufeln? Schneits am Südpol?
Nein, das nicht, aber vor allem im Winter gibt es Verwehungen, die einem zu Schaffen machen.

Was zieht man eigentlich in dieser Kälte an?
Man hat zunächst mal ganz normale Sachen an, zum Beispiel Jeans und Fleecepulli. Zusätzlich gibt es die „ECW Gear“, das ist die Kleidung für „extreme cold weather“. Die wattierte Arbeitshose, so eine Art Skihose, zieht man über die Jeans. Obenrum trägt man eine Daunenjacke. Die Spezialschuhe haben einen Fellinnenschuh und eine Leder-Nylon-Oberfläche.

...und die Hände...?
...sind eine Schwachstelle, genau wie der Kopf. Für’s Gesicht kann man sich Masken überziehen, dazu zwei Mützen. Und die Hände kommen in drei Paar Handschuhe, dann geht das schon. Man ist allerdings ziemlich unbeweglich. Wenn man beispielsweise Fotos machen will, muss man die Handschuhe ausziehen. Da frieren einem fast die Finger am Auslöser fest. Meine gesamte ECW-Ausrüstung wiegt etwa 10 kg.

Extremkleidung Übersicht Extremkleidung Gesicht

Das ist ja richtig Sport, wenn man ein Stück laufen muss!
Ja schon, bis zu meinen Labor ist es etwa ein Kilometer.

Ist es Dir - so blöd das klingt - auch manchmal zu warm?
Hm, schwierige Frage. Gerade im Winter kann die Temperatur innerhalb von Stunden um etwa 30 Grad schwanken, je nach Wind. Da kommt es schon vor, dass ich mal den Reißverschluss der Jacke aufmache.

Man sagt ja immer: Wenn es kalt ist, dann muss man viel essen. Gibt’s bei Euch eigentlich Astronautenkost?
Nein, das nicht Im Prinzip ist es US-Kühlkost. Da gibt’s ganz verschiedene Sachen, am Tag darf es aber pro Person nicht mehr als 5,50 Dollar kosten. Manchmal ist auch Lobster mit dabei. „Freshies“, das ist frisches Obst und Gemüse, gibt’s nur dann, wenn der Versorgungsflieger durchkommt. Aber Äpfel kann man auch ein wenig über die Zeit retten, das sind dann die kleinen Highlights, wenn man sich einen für später aufgehoben hat.

Kommen wir mal zu Deinem Forschungsprojekt...
Dieses Jahr arbeite ich an einem Projekt mit, das sich QUEST nennt. Es geht darum, die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung zu messen. (kurze Pause) Da werden bestimmte Schwingungsebenen bevorzugt....

Geht’s auch etwas einfacher?
Na ja, vereinfacht könnte man auch sagen, ich messe das Nachglühen des Urknalls.

Aha.
Für dieses Experiment ist die extreme Kälte und die extrem trockene Luft am Südpol ganz entscheidend. Die Mikrowellen, die ich da messe, werden nämlich von Wasserdampf verschluckt - so funktioniert ja auch die Mikrowelle in der Küche. Der nächst bessere Ort für diesen Versuch wäre das Weltall.

In Deutschland wird ja gerade über die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche diskutiert. Wie lange arbeitest Du täglich?
Das ist unterschiedlich. Im Sommer arbeiten wir sieben Tage die Woche, insgesamt vielleicht 80 Stunden. Im Winter ist es etwas weniger, aber immer noch 40 Stunden.

Ist das gut bezahlt?
Wir bekommen das Standardgehalt, das es an der Uni auch geben würde.

Wie sieht so ein typischer Tag bei Dir aus?
Morgens stehen wir auf, feste Uhrzeiten machen allerdings am Südpol wenig Sinn. Nach dem Frühstück muss man erst mal checken, ob alles läuft. Technische Fehlermeldungen bekommt man meistens recht schnell mit - dann geht der Alarm los. Danach schaut man erstmal seine Emails durch. Das ist schließlich unser wichtigster Draht nach außen.

Und dann kommt die Arbeit?
Im Sommer geht man viel ins Labor. Im Winter stehen Routinearbeiten und Reparaturen im Vordergrund. Man muss viel selbst reparieren können und Spezialist für alles mögliche sein.

Was magst Du lieber - den antarktischen Sommer oder den Winter?
Den Winter, da ist alles ein bisschen ruhiger. Es herrscht auch eine ganz spezielle Atmosphäre. Und dann ist der Winter für mich als Hobbyastronom auch besser, weil es dunkel genug zum Beobachten ist.

Kochen für das Oktoberfest

Was machst Du in Deiner Freizeit außer Beobachten?
Emailen natürlich, aber auch Gesellschaftsspiele, Tischtennis oder Billard. Wir haben auch einen Fitnessraum. Daneben fotografiere ich sehr gerne. Oder ich gebe den anderen Astronomieunterricht. Überhaupt bieten sehr viele Leute Kurse für die anderen an. Man hat auch reichlich Zeit zum Sprachenlernen. Wir feiern auch sehr gerne, eigentlich alles von offiziellen Feiertagen über Oktoberfest bis hin zu Sonnenaufgangsfeten und diversen Mottopartys. Langweilig war mir in der ganzen Zeit noch nie.

Feuerwehrbereitschaft

Musst Du auch was im „Haushalt“ machen?
Ja, jeder hat so seine Aufgaben. Für den Fall, dass es mal ernst wird, haben auch alle eine Feuerwehr-Ausbildung. Ich bin auch noch angelernter „surgeon assistant“. Falls jemand operiert werden muss, kann ich als „OP-Schwester“ mithelfen.

Operationsübung

Gibt es eigentlich auf der Station Zimmerpflanzen oder ein Haustier?
Nein, das ist jetzt alles nicht mehr erlaubt. Wir haben auch keine Schlittenhunde mehr.

Hast Du wenigstens schon einen Pinguin gesehen?
Ja, öfter. Den ersten allerdings erst nach 13 Monaten. Ich bin auch mal mit einem Eisbrecher raus gefahren, da gab es auch noch Orcas, Seehunde und Robben zu sehen.

Wie lange warst Du jetzt insgesamt auf der Station?
Seit 1996 insgesamt 40 Monate, auf vier Aufenthalte verteilt.

Was glaubst Du, wie lange willst Du noch bleiben?
(überlegt) Kann ich wirklich nicht sagen, das muss man denke ich von Mal zu Mal entscheiden. Bis jetzt gefällt’s mir.

Hast Du schon eine Vorstellung, was danach kommt?
Da habe ich mir noch nicht so viele Gedanken gemacht. Vielleicht zur ESA (European Space Agency, Anm. d. Red.).

Kannst Du Dir einen 8-Stunden-Job in Deutschland überhaupt noch vorstellen?
Ja, schon - wenn es der richtige Job ist.

Worauf freust Du Dich am meisten, wenn Du den Südpol wieder verlässt?
Ich fliege nach Neuseeland, die Luke geht auf und ich atme Frischluft! Auch, wenn es komisch klingt, die Luft am Südpol ist wie aus der Dose, absolut geruchlos. Staub und Dreck vermisse ich auch ein wenig auf die Dauer. Kurze Hosen anziehen und beim „Auftau-Urlaub“ das Gras unter mir spüren. Und fotografieren, ohne dass mir die Finger einfrieren.

Was empfindet jemand, der am Südpol lebt, als Luxus?
Ich freue mich, ein warmes Zimmer und ein Bett zu haben, und eine Sauna. Der Luxus für dunkle Tage ist ein Stück frisches Obst. Und: allein an diesem Ort sein zu dürfen ist schon ein Privileg.


Das Interview führte Andrea Friebel im Rahmen einer Fortbildung und wurde mit Fotos von Roberts Homepage ergänzt.